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1982
Wir saßen mit
einem Arzt in einem Zimmer im Tiefparterre eines großen Hotels. Wir, eine
Gruppe unheilbar Kranker. Es waren viele junge Leute darunter.
Wir hatten uns hier eingefunden, um gemeinsam von diesem Arzt die
Todesspritze zu bekommen. Wir sprachen nicht lange miteinander.
Bald ging der Arzt ans Werk. Und während er den einzelnen die tödliche Dosis
Schlafmittel injizierte, redete er von diesem und jenem, uns beruhigend,
erklärte uns, was wir gespritzt bekämen.
Ich spürte nur einen leichten Stich.
Schließlich hatten alle die Spritze erhalten.
Die Älteren saßen still da und warteten auf den Tod.
Einige der Mädchen aber sprangen auf. Sie wollten nicht hier sterben, in
diesem fensterlosen Raum im Keller. Sie rannten hinaus auf die Treppe, um
noch ihr Hotelzimmer zu erreichen, bevor sie der Schlaf übermannte.
Ich wollte hier auch nicht sterben. Wenn schon sterben, dann draußen unter
freiem Himmel. Einmal noch den Himmel sehen!
So fragte ich den Arzt, wie viel Zeit mir noch bliebe. Der Arzt blickte auf
und lächelte: "Zehn Sekunden etwa!" meinte er.
Panik befiel mich. Ich stürzte aus dem Zimmer, die Treppe hinauf...
Überall lagen sie. Sie mussten mitten im Lauf zusammen gebrochen sein und
lagen nun eigentümlich verdreht auf den Stufen der Hoteltreppe. Ich eilte
über die leblosen Körper hinweg, als es plötzlich wie Blei in meine Beine
fuhr. Ich konnte sie nicht mehr heben. Irgendetwas schien das Bild der Welt
vor meinen Augen weg ziehen zu wollen. Seltsamerweise schaffte ich es doch,
auf allen vieren, die Treppe hinaufzukommen.
Zehn Sekunden!
Ich spürte, dass allmählich ein bisschen Kraft in meine Beine zurückkam. Ich
konnte wieder aufrecht gehen, die Treppe hinauf, weiter, weiter ... dann war
ich im Freien, der Himmel über mir. Mein Gott, war der Himmel blau!
Ich hatte es geschafft!
Sollte die Spritze bei mir nicht gewirkt haben? Die zehn Sekunden mussten
längst um sein!
Ich eilte über den Marktplatz, den Berg hinauf, zu der kleinen Kirche. Die
Leute in ihrer üblichen Geschäftigkeit, nahmen kaum Notiz von mir. Die
Kirche war von einem kleinen Friedhof umgeben, der seinerseits von einer
weißen Mauer eingefasst war. Ich schritt durch den Friedhof. Auf der anderen
Seite führte eine lange weiße Treppe aus der Ummauerung, in ein Tal, in dem
eine wunderschöne sonnenbeschienene Wiese lag. Dort unten wollte ich
sterben!
Ich lief die Treppe hinunter, leichtfüßig ...
In der Mitte der Treppe dunkelte mit einem Mal das Bild.
Ich stand auf der Mitte der Hoteltreppe. Vor mir lag ein schwarzhaariges
Mädchen, die Augen weit aufgerissen, glanzlos. Ich war keinen Meter mehr
weiter gekommen!
Irgendetwas zog das Bild der Welt vor meinen Augen weg. |