Das Mädchen
Es war Nacht,
als ich an den See gelangte. Sein Randwasser war schmutzig hell, wie immer,
wenn er über die Ufer getreten war. Weißlich schwappte es um die Sträucher
der Böschung. Ich stand am Rand. Vor mir bröckelte die Erde in den
fressenden See.
Genau in einer
solchen Nacht hatte man damals die zwei Leichen aus dem Wasser gefischt,
eben hier, ein paar Meter vor mir. Das Auto hatte man nicht gehoben.
Während ich so
auf das schmatzende weite Wasserufer starrte, tauchte plötzlich ein lang
geschossener Schatten auf. Durch das verästelte Schwarz eines Strauches hob
er sich wie ein Brett gegen den See ab. Ich rief ihn an, heraus zu kommen.
Da sauste er davon.
Ich jagte ihm
nach, entschlossen, herauszubringen, wer die Silhouette war. Es ging
kilometerweit am Seeufer entlang. Das Wasser, das sich neben mir
vorüberdrehte, glänzte silbrig unter dem dicken Vollmond.
Dann bog der
Schatten plötzlich ab ins Dunkel, einen gefurchten Berg hinauf, der selbst
in Bewegung schien, so zog es ihn in die Laufrichtung.
Auf dem Gipfel
verhielt ich - atemlos. Ein wild geschwungener Feldweg fiel überstürzt in
ein kleines dunkles Dorf am Fuße des Berges. Schlafend und klein, fast
spielzeughaft, lag es zwischen den eigentlich gering wirkenden Berghöckern
in einer Mulde.
Der Schatten
lief behende darauf zu. Langen Fußes sprang er auf eine Kuppe. Ich sah, dass
es ein Mädchen war. Sein Haar glänzte rötlich braun in dem bleichen Licht,
das der Mond kurz auf sie goss. Wie ein Schweif sauste es durch die Luft.
Dann war es in den nächtlichen Schatten der kleinen, kompakten Häuser
verschwunden, die so eng zusammengepresst, fast ängstlich in der Senke dort
unten lagen.
Ich suchte das
Dorf mit den Augen ab. Nass schwang sich unten rechts eine geteerte
Dorfstraße an den Berg heran und floss dann schwarz in die Nacht davon. Das
Mädchen sah ich nicht mehr.
Ich stand noch
eine Weile dort oben und blickte verloren auf das wie tot liegende Dorf.
Dann ging ich davon, zurück in Richtung See. |